Die Fallstricke der wehrhaften Demokratie – Verfassungsblog – Cyber Tech

Louis Antoine de Saint-Simply wird auf dem Höhepunkt des jakobinischen Terrors der Satz zugeschrieben: „Keine Freiheit den Feinden der Freiheit!“ Nur wenig später fiel Saint-Simply 1794 mit seinem Freund Robespierre dem revolutionären Fallbeil und damit der extremsten Ausdrucksform seines eigenen Satzes zum Opfer. Der berühmte Imperativ des französischen Revolutionärs wurde durch die Zeitläufte und politischen Lager hindurch tradiert, zitiert und moduliert. Die in Westdeutschland populäre Formulierung „Keine Toleranz den Feinden der Toleranz“ ist eine kurze Synthese von Zitaten Karl R. Poppers und des deutschen Politikwissenschaftlers Dolf Sternberger. Sie gehört seit den fünfziger Jahren zum Sprachschatz der wehrhaften Demokratie. Gegenwärtig erlebt sie eine neue Renaissance. Getrieben wird sie dieses Mal nicht von Konservativen, sondern paradoxerweise von jenem grün-linken Lager, das in den siebziger Jahren selbst Objekt illiberaler Observierung und beruflicher Diskriminierung battle.

Revisiting Kelsen, Schmitt und Löwenstein

Der Begriff der „wehrhaften“ oder „streitbaren“ Demokratie jedoch ist älter. Nicht von ungefähr stammt er aus den späten 1930er-Jahren, als der rechte wie der linke Totalitarismus in den Terrorregimen Deutschlands und der Sowjetunion kurz vor dem Höhepunkt stand. Formuliert wurde er erstmals 1937 von dem deutschen Staats- und Verfassungsrechtler Karl Löwenstein, der auf der Flucht vor den Nazis in die USA emigriert battle. Löwenstein führte den Begriff als „militant democracy“ in die politische und verfassungsrechtliche Debatte ein. Er muss nicht zwingend als „wehrhafte Demokratie“ übersetzt werden. „Streitbare Demokratie“ oder wörtlich „militante Demokratie“ wären mögliche Alternativen. Der Soziologe Karl Mannheim (1942), ebenfalls vor den Nazis geflüchtet, griff den Terminus an der London College of Economics auf und deutete „militant democracy“ gesellschaftstheoretisch als einen „third manner“ zwischen dem Neutralismus des liberalen laissez faire und einer etatistischen Durchplanung der Massengesellschaft. Mannheims Ideen verblassten, Löwensteins Überlegungen blieben. Sie erleben gerade eine begriffliche Renaissance.

Die Beratungen zum Grundgesetz begleitete die Erinnerung an das Scheitern der vermeintlich schutzlosen Weimarer Republik und an die Machtergreifung (R. M. Lepsius: Machtübergabe) der Nationalsozialisten als mahnendes Gebot, die zweite demokratische Republik des Landes nicht wehrlos den Feinden der Demokratie zu überlassen. Auch wenn heute sowohl in der verfassungsrechtlichen wie politikwissenschaftlichen Debatte die konstitutionelle Wehrlosigkeit der Weimarer Demokratie mit guten Argumenten bestritten wird (u.a.: Lübbe-Wolff 2023; Dreier/Waldhoff 2019), fand der Gedanke der demokratischen Wehrhaftigkeit manifesten Ausdruck in mehreren Artikeln des Grundgesetzes der Bundesrepublik. Hans-Jürgen Papier, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Wolfgang Durner (Papier/Durner 2003: 353) sprechen von einer „Instrumententrias mit direkten Eingriffsbefugnissen gegenüber verfassungsfeindlichen Organisationen, Individuen und Parteien“. Die Trias bezieht sich auf Artwork. 9 Abs. 2 GG (Verbot von Vereinigungen), Artwork. 18 (Verwirkung von Grundrechten) und insbesondere Artwork. 21 Abs. 2 (Parteienverbot). Während bei Artwork. 9 die Exekutive selbst entscheiden kann, wird bei den Artikeln 18 und 21 das Bundesverfassungsgericht auf politischen Antrag hin zum „Hüter der Verfassung“. Überwölbt wird dieser verfassungsrechtliche Kernbereich der streitbaren Demokratie durch Artwork. 79 Abs. 3, der u.a. die „Ewigkeit“ der in Artwork. 1 und 20 festgelegten Grundsätze statuiert und damit die Normen der Menschenwürde, des Demokratieprinzips und Rechts- wie Sozialstaats ewigkeitsfest der zukünftigen demokratischen Disposition entzieht. Damit wurden dem zukünftigen Souverän und der Mehrheitsdemokratie wenige, aber eherne Grenzen gesetzt.

Die Ursprünge und wirkungsmächtigen historischen Kontexte der „Instrumententrias“ sind leichter nachzuzeichnen als eine demokratietheoretische Würdigung der Ambivalenzen der wehrhaften Demokratie selbst. Wo liegen eigentlich die Segnungen, Paradoxien und Fallstricke des Konzepts aus demokratischer Perspektive? Wie können liberale Demokratien die legitimen Mechanismen demokratischer Selbstverteidigung etablieren, ohne dass sie ihre eigenen Grundprinzipien desavouieren? Da lohnt es sich, bei bedeutenden Adressen der Staatsrechtslehre, Hans Kelsen und Carl Schmitt nachzusehen und auch Karl Löwenstein als den Erfinder des Begriffs „militant democracy“ zu konsultieren. Alle drei stehen für eine je eigene Sicht auf den demokratischen Staat über das 20. Jahrhundert hinaus.

Hans Kelsen, vielleicht der bedeutendste Verfassungstheoretiker des vergangenen Jahrhunderts, gilt als Kronzeuge gegen die wehrhafte Demokratie. In seiner frühen Schrift vom „Wesen und Wert der Demokratie“ (1920) plädiert Kelsen für einen radikalen weltanschaulichen Relativismus, der den leichtfertigen Protagonisten wertegetränkter Diskurse den Atem stocken lässt. Kelsen schreibt: „Darum ist der Relativismus die Weltanschauung, die der demokratische Gedanke voraussetzt. Demokratie schätzt den Willen jedermanns gleich ein, wie sie auch jeden politischen Glauben, jede politische Meinung, deren Ausdruck ja nur der politische Wille ist, gleichermaßen achtet. Darum gibt sie jeder politischen Überzeugung die gleiche Möglichkeit sich zu äußern und im freien Wettbewerb um die Gemüter der Menschen sich geltend zu machen“ (Kelsen (1920) 2023: 132). Wenn aber, so muss man dem großen Staats- und Demokratiegelehrten entgegenhalten, eine Demokratie von ihren Feinden angegriffen, ausgehöhlt oder in ihrer Existenz bedroht wird, darf sie sich dann nicht wehren, mit allen ihren legalen Mitteln? Kelsens Antwort (1932) ist klar: „Eine Demokratie, die sich gegen den Willen der Mehrheit zu behaupten, gar mit Gewalt zu behaupten versucht, hat aufgehört Demokratie zu sein … d.h. wer für die Demokratie ist, darf sich nicht in den verhängnisvollen Widerspruch verstricken lassen und zur Diktatur greifen, um die Demokratie zu retten“. Entwaffnet Kelsen damit die Demokratie, spricht er ihr ein Selbstverteidigungsrecht ab?

Jein. In den 1950er-Jahren wird er in seiner Abschiedsvorlesung in Berkeley schreiben, dass eine demokratische Regierung gewaltsamen Versuchen ihrer Beseitigung durchaus mit Gewalt entgegentreten könne. Aber eine tolerante Demokratie könne nur in dem Maße tolerant bleiben, „wie sie friedliche Äußerungen anti-demokratischer Anschauungen nicht unterdrückt. Gerade durch solche Toleranz unterscheidet sich Demokratie von Autokratie“. Die rote Linie sei die Gewalt, nicht aber schon Existenz, Programmatik und Äußerungen anti-demokratischer Parteien und einzelner Politiker. Schon gar nicht wäre die von nachrichtendienstlichen Exekutiven wie dem skandalumwitterten Verfassungsschutz geäußerte Vermutung des „gesicherten Rechtsextremismus“ oder problematischer noch der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ einer Partei die legitime Grundlage eines Verbotsverfahrens. Die Logik des wertrelativistischen radikalen Pluralismus schließt Verbotsmaßnahmen gegenüber antidemokratischen Parteien aus. Diese wären nicht nur illiberal, sondern auch undemokratisch. Kelsens Paradoxie-Verdacht lautet: In dem Versuch einer Regierung, die Demokratie gegen ihre intoleranten Feinde zu schützen, nähme diese selbst intolerante Züge an, würde ihren Feinden ähnlich und zerstörte die Grundlagen der Demokratie. Ein Parteienverbot der AfD, wie es heute in Deutschland diskutiert wird, wäre mit Kelsen nicht zu beglaubigen. In der öffentlichen Debatte würde der einflussreichste Verfassungstheoretiker des 20. Jahrhunderts vermutlich rasch als ein weltfremder Träumer oder gefährlicher Denker dastehen.

Der Antipode zu Kelsen in der Nachkriegsdebatte ist Karl Löwenstein. Er greift implizit auf Carl Schmitt zurück, um dann explizit Ideen zu entwickeln, wie die Demokratie durch Verbote ihren Bestand zu sichern vermag. Schmitt hat sich schon früh gegen Kelsens wertrelativistischen Prozeduralismus gewandt. Verfassungen fußten – so Schmitt – auf grundlegenden Prinzipien, die nicht authorized zu beseitigen seien. Eine wertneutrale Interpretation der Verfassung sei „eine Neutralität bis zum Selbstmord“ schrieb er in „Legalität und Legitimität“ (1932). So sieht es auch Löwenstein. Im Gegensatz zu Schmitts abstrakter staatstheoretischer Argumentation entwickelt er seine praktische Idee der „militant democracy“ aus der konkreten Auseinandersetzung mit den (vermeintlichen) Ursachen des Untergangs der Weimarer Republik. Wo Kelsen davor warnt, die Intoleranz der Demokratiefeinde mit intoleranten Mitteln zu bekämpfen, empfiehlt Löwenstein genau diese. Der „Faschismus“ könne nur auf seinem eigenen Felde mit seinen eigenen Mittel geschlagen werden. Zu glauben, die normativ überlegene Idee der Demokratie werde über die faktische Gewalt obsiegen, ermutige den Faschismus ohne die Demokratie zu stabilisieren (Löwenstein 1937). Der „demokratische Fundamentalismus“ und die „legalistische Blindheit“ seien weder willens noch in der Lage zu erkennen, dass es gerade die Prinzipien und Verfahren der Demokratie sind, die den Demokratiefeinden als Trojanisches Pferd dienen. Es ist der exzessive Formalismus des Rechtsstaats und die „Verzauberung der formalen Gleichheit“, der die Demokratie abhielte, „diejenigen Parteien aus dem Spiel zu nehmen, die dessen fundamentale Regeln nicht anerkennen“. Die Demokratie muss bereit sein, auch grundsätzliche Prinzipien aufzugeben, um letztlich genau diese Prinzipien zu retten: „Democracy has to turn into militant“ (ibid. 423).

Ein Parteiverbotsverfahren wäre riskant

Während Kelsens kompromisslose Prinzipientreue in ihrer intellektuellen Ästhetik fasziniert, in der Praxis aber deprimiert, entgeistert die normative Prinzipienlosigkeit Löwensteins, mit der dieser die Demokratie vor ihren Feinden schützen will. Beide Positionen erscheinen heute unter dem Eindruck einer sich transatlantisch aufbauenden Welle des Rechtspopulismus weder politisch hinreichend (Kelsen) noch demokratietheoretisch legitimierbar (Löwenstein). Das Grundgesetz ist feiner und ausgewogener normiert als dies Löwensteins illiberale Vorschläge befürchten lassen. Die wehrhafte Trias von Vereinigungsverbot, Verwirkung von Grundrechten und Parteiverbote wurde von den autorisierten Institutionen in der Regel mit Zurückhaltung gehandhabt. Während die normativ am wenigsten problematischen Vereinigungsverbote in beachtlicher Zahl verhängt und gerichtlich bestätigt wurden, wurden Parteiverbote in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sechs Mal auf den Weg gebracht und nur zweimal durch das Bundesverfassungsgericht verhängt. Lediglich vier Anträge auf Verwirkung der Grundrechte wurden bisher gestellt. Kein einziger wurde vom BVerfG positiv beschieden. Der sich in einer fortgeschrittenen Agonie befindlichen „Heimat“ (vormals NPD) wurde mit Urteil des BVerfG vom Januar 2024 auf sechs Jahre die staatliche Finanzierung (§ 18 PartG) entzogen. Dies ist normativ nachvollziehbar, politisch bleibt es irrelevant.

Jüngst wurde die Forderung auf Aberkennung der Grundrechte des völkischen Rechtsextremisten Björn Höcke populär. Dieses Ansinnen magazine im Falle Höckes substanziell begründbar sein. Aber eine Gefahr für die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des „Potentialitätsarguments“ des Bundesverfassungsgerichts daraus abzuleiten, hieße die Stabilität unserer Demokratie zu unter- und die Bedeutung Höckes zu überschätzen. Das Potentialitätsargument, vom Bundesverfassungsgericht im zweiten NPD-Verbotsverfahren (2013-2017) formuliert, besagt, dass eine Partei auch das faktische Potential haben muss, die freiheitlich demokratische Grundordnung in Deutschland zu gefährden, um letztendlich verboten zu werden. Für reine Symbolik darf eine solche einschneidende Verfassungsnorm nicht leichtfertig verschleudert werden.

Damit bleibt aus der wehrhaften Trias der freiheitlich demokratischen Grundordnung (FDGO) nur das Parteienverbot übrig. Wie ist der lauter werdende Ruf nach einem Verbot der AfD aus demokratietheoretischer Sicht zu bewerten? Pragmatisch wäre die Initiierung eines Verbotsverfahrens riskant. Die langwierigen Tatsachenerhebungen des Bundesverfassungsgerichts, die Prüfung der Materialsammlung des Bundesamts für Verfassungsschutz, Anhörungen von Experten, Beratungen und Urteil dürften zwei bis drei Jahre dauern. Ein sich hinziehendes Verfahren würde wie ein Konjunkturprogramm für die AfD wirken. Sie könnte sich in ihrer Lieblingsrolle präsentieren, als die von den „Systemparteien“ verfolgte wahre Opposition, und weitere Proteststimmen auf sich ziehen. Würde am Ende das Bundesverfassungsgericht ein Verbot ablehnen, entstünde ein Legitimationszuschuss mit unübersehbaren politischen Folgen. Würde das Gericht die Partei verbieten, wären damit noch längst nicht ihre Wähler verschwunden.

Und hier kommt die normative Frage ins Spiel. Ist das Verbot einer Partei, die in Umfragen im Bund auf 20%, in einzelnen ostdeutschen Bundesländern auf 30% der Wählerschaft kommen kann, nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch demokratietheoretisch zu legitimieren? Würde nicht ein signifikanter Teil des Demos, von dem die letztinstanzliche Macht in einer Demokratie auszugehen hat, seiner Wahlpräferenzen und gewählten Repräsentanz beraubt? Würde sich nicht ein Gericht anmaßen, den politischen Pluralismus der Gesellschaft paternalistisch einzuschränken? Würde der Gesellschaft nicht die Möglichkeit radikaler Opposition untersagt und der Pluralismus innerhalb des politischen Techniques antipluralistisch gestutzt werden? Dies sind Fragen, die verfassungsrechtlich mit dem Artikel 21 Abs. 2 GG zwar als zulässig beantwortet werden können, für eine konsolidierte Demokratie aber etwa nach Ansicht der radikalen Demokratietheorie einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Souveränität eines nicht unerheblichen Teils des Demos bedeuten würde.

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Aber die Antragsteller wären letztlich doch politische Parteien in Regierung, Bundestag oder Bundesrat. Wenn aber politische Parteien Anträge auf Verbot einer Konkurrenzpartei stellen dürfen, beeinträchtigt dies den freien pluralistischen Parteienwettbewerb. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Niedergang der Volksparteien eine beachtliche Zahl der Wähler aus ihrer einstigen engen Parteienbindung entlassen hat. Viele dieser Wähler haben enttäuscht die Parteien an den politischen Rändern als neue Repräsentanten gesucht und auf der Rechten in der AfD gefunden. Auch wenn die demokratischen Parteien mit lauteren Motiven einen Verbotsantrag stellen würden, wäre es politikfern zu vermuten, wettbewerbliche Erwägungen blieben außen vor.

Final however not least entwendete ein AfD-Verbot der Demokratie einen wichtigen Vorteil, den sie gegenüber autoritären Routine besitzt. Der Suggestions-Mechanismus von Wahlen und insbesondere Wahlniederlagen zwingt demokratische Parteien in der Regel nachzudenken, was die Ursache für die Wählerverluste sind (Dahl 1971). Warum wurden so viele Wähler gerade an eine rechtspopulistische Partei zweifelhaften demokratischen Zuschnitts verloren? Eine solch kritische Selbstreflexion, die sowohl ihre Regierungsleistung wie ihre Responsivität verbessern könnte, würde den Antragstellern abgeschnitten. Die Kritik konzentrierte sich auf den rechtspopulistischen Konkurrenten als die Ursache allen Übels. Nichts an Einsicht in die eigenen Schwächen wäre gewonnen. Verloren hätte die Demokratie, die Ursachen blieben, die unzufriedenen Wähler auch. Dabei geht es nicht darum, selbst rechtspopulistische Politik vorwegzunehmen, sondern den Menschen wirtschaftliche Sicherheit zu geben, truthful zu entscheiden und ihre Interessen zu repräsentieren.

Die Output-Dimension scharfstellen

Auch wenn man wie ich der Meinung ist, die pragmatischen und normativen Kosten eines AfD-Verbots überstiegen die politischen Gewinne, darf man die Demokratie nicht ihren Feinden überlassen. Der Preis wäre zu hoch. Will man weder dem rabiaten Illiberalismus Löwensteins noch der hyperliberalen Selbstentwaffnung Kelsens folgen, muss man einen dritten demokratischen Weg suchen. Die Grundlage ist nicht ein oberflächliches „wir müssen besser kommunizieren“, sondern wir müssen effizienter und fairer entscheiden. In Krisenzeiten verschiebt sich die politische Aufmerksamkeit der Bürger vom partizipatorischen Enter zur Substanz des Outputs. Aber neben der unbedingten Grundlage guten Regierens soll ein dritter Weg auch aus den argumentativen Ressourcen der Demokratie selbst befestigt werden.

Der demokratische Staat des Grundgesetzes ist normativ imprägniert im Sinne von Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat und deshalb gerade nicht impartial gegenüber allen Einstellungen, sondern darf und soll aktiv jene fördern, die für diese Ordnung einstehen. Das hieße dann: Parteiverbot nein, aber auch keine finanzielle Förderung jener, die die liberale Demokratie abschaffen wollen, wie dies über Artwork. 21 Abs. 3 GG möglich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt zwischen dem Parteienverbot (Artwork. 21 Abs. 2 GG) und dem Entzug der Parteienfinanzierung (Artwork. 21 Abs. 3 GG) nur ein schmaler Grat. Wie es erst im Januar konkretisiert hat, unterscheidet die beiden Instrumente lediglich das Potentialitätskriterium, additionally die Frage, inwiefern die Partei in der Lage ist, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen.

Ich sehe aber einen erheblichen Unterschied zwischen dem Verbot einer aus dem gesellschaftlichen Raum entstandenen Partei und dem Entzug der aktiven staatlichen Finanzierung. Dies ist wie manches in der Verbotsdebatte nicht frei von einem Dilemma. Zum einen verletzt es das Parteienprivileg, wenn die Gleichbehandlung der Parteien gestört wird. Auf der anderen Seite wird die Organisationsstruktur nicht zerschlagen und die mit einem Verbot einhergehenden Repression und Überwachung muss nicht organisiert werden. Denn gerade eine solche dürfte es der AfD tagtäglich ermöglichen, sich als Opfer der repressiven Systemstrukturen zu stilisieren. Dem selbst schwer zu kontrollierenden Verfassungsschutz würden unterhalb des Verbots nicht noch zusätzliche Kompetenzen und Private zuwachsen. Der Gesellschaft würde ein illiberaler Schub weiterer Überwachungsmaßnahmen erspart. Der demokratische Staat könnte zeigen, dass er mit einem Parteiverbot nicht tief in die Selbstorganisationsrechte der Bürger eingreift, aber auf der anderen Seite nicht aktiv seine Feinde finanziert.

Auch die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung darf nicht staatlich finanziert werden. Die frühe demokratische Bildung und die demokratische Zivilgesellschaft sollte unter Ausschaltung einseitiger parteiischer Vorteile intensiviert werden: Gleichbehandlung der AfD in parlamentarischen Verfahren ja, aber kein Zwang für MdBs, deren Vertreter in Ausschussämter zu wählen. Damit wäre man relativ nah an Kelsen, ohne libertär oder autoritär zu werden.

Gefragt ist zudem eine Bürgerschaft republikanischen Zuschnitts. In ruhigen Normalzeiten häufig mit den demokratischen Tugendzumutungen der republikanischen Theorie überfrachtet, magazine das für turbulente Krisenzeiten der Demokratie nicht gelten. Die Massenmobilisierungen auf den Straßen der Republik gegen AfD und Rechtsextremismus zeigen die erwachte demokratische Kompetenz und Ardour der Bürger. Das ist Verfassungsschutz von unten; bzw. „ziviler Verfassungsschutz“.

Republikanische Tugenden müssen aber gleichzeitig in die demokratischen Parteien und Institutionen getragen werden. Die Straße vermag zwar die politische Agenda zu beeinflussen, bindende politische Entscheidungen werden aber von Parteien in staatlichen Institutionen getroffen. Auch dürfen die demokratischen Parteien die Nicht-Wähler nicht den Rechtspopulisten überlassen. Massendemonstrationen ersparen nicht den langwierigen Marsch durch die träge gewordenen Institutionen. Wenn gutes Regieren, faire Gewinn- und Lastenverteilung in Zeiten von Krisen die staatliche Politik bestimmen und die Bürger aus der Zuschauerdemokratie aussteigen, um auf die Straße, in Parteien und zivilgesellschaftliche Vereinigungen zu gehen, dann mögen Parteienverbote überflüssig werden. In der Verfassung können sie dann als ultima ratio verbleiben – wohl mehr als Drohung, denn als realer Vollzug.

Demokratien sind zerbrechlich, auch die unsrige. Aber sie ist nach 75 Jahren erfolgreichen Bestehens resilienter als der diskursive Alarmismus gegen den Rechtspopulismus suggeriert. Demokratisches Engagement, gelassene Aufmerksamkeit kompetenter Bürger, Liberalitas und gutes Regieren dienen der Demokratie mehr als der anschwellende Bocksgesang von Observierung, Verdacht und Verbot.

 

Eine kürzere Fassung des Textes ist am 21. März 2024 in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht worden.

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