Die Beamtenschaft zwischen Braveness und Pflicht – Verfassungsblog – Cyber Tech

Konfliktlagen für Beamt:innen bei Weisungen einer autoritär-populistischen Hausspitze

In den nächsten Wochen stehen in diversen Bundesländern Kommunalwahlen an, im September in Brandenburg, Sachsen und Thüringen Landtagswahlen. Welche Reaktionsmöglichkeiten oder gar -pflichten bestehen für die Beamtenschaft, falls Funktionäre einer autoritär-populistischen Partei in höchste Verwaltungspositionen gelangen und in der Folgezeit im Dienst juristisch bedenkliche Anordnungen erteilen sollten? Wie die Beamtengesetze zeigen, können Beamt:innen in solchen Konstellationen in rechtliche und emotionale Unsicherheits- und Konfliktsituationen geraten, die nicht unterschätzt werden sollten.

Die beamtenrechtliche Folgepflicht und Reaktionsmöglichkeiten

Beamt:innen trifft die sogenannte Folgepflicht gemäß § 62 Abs. 1 S. 2 Bundesbeamtengesetz (BBG)/§ 35 Abs. 1 S. 2 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG). Sie sind danach verpflichtet, die von ihren jeweiligen Vorgesetzten erlassenen dienstlichen Anordnungen auszuführen sowie deren allgemeine Richtlinien zu befolgen. Dies gilt selbstverständlich unabhängig von der politischen Couleur der Vorgesetzten oder generell des Leitungspersonals einer Behörde. Für den Fall additionally, dass eine autoritär-populistische Partei nach den Wahlen die Hausspitzen von beispielsweise Ministerien oder Rathäusern mit ihren Parteimitgliedern besetzen kann, müssten demnach alle Beamt:innen grundsätzlich sämtliche Weisungen dieser neuen Führung befolgen.1)

Obwohl die Beamtenschaft insofern weisungsgebunden ist, tragen Beamt:innen gemäß § 63 Abs. 1 BBG/§ 36 Abs. 1 BeamtStG für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen selbst die volle persönliche Verantwortung. Das gilt auch für den Fall, dass zuvor eine entsprechende Weisung ergangen ist. Man soll sich additionally als Beamt:in gewissermaßen nicht einfach auf „blinden Befehlsgehorsam“ berufen können.

Im Falle rechtswidriger Weisungen durch Vorgesetzte sehen die Beamtengesetze daher die sogenannte Remonstration vor, additionally das Recht – und nach ganz herrschender Meinung zugleich auch die Dienstpflicht2) – der Beamt:innen, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen auf dem Dienstweg in Kind einer Gegenvorstellung geltend zu machen (vgl. § 63 Abs. 2 BBG S.1/§ 36 Abs. 2 S.1 BeamtStG). Das bedeutet, dass entsprechende Bedenken zunächst gegenüber der beziehungsweise dem Vorgesetzten vorgetragen werden müssen. Sollte die Weisung aufrechterhalten werden, muss man sich an die nächsthöhere Vorgesetztenstelle wenden (vgl. § 63 Abs. 2 BBG S. 2/§ 36 Abs. 2 S. 2 BeamtStG).

Bereits diese Forderung des Gesetzes kann für Beamt:innen einen gewissen Druck erzeugen. Denn die Remonstration beeinträchtigt zumindest die Reibungslosigkeit des Verwaltungshandelns und damit mittelbar auch die Funktionsfähigkeit der jeweiligen Behörde, da die Weisung zunächst (grundsätzlich3)) nicht ausgeführt wird. Es kommt gewissermaßen Sand ins Getriebe der Verwaltungsmaschinerie. Ferner – und im Einzelfall vielleicht sogar bedeutsamer – könnten als Konsequenz einer Remonstration persönliche Nachteile zu befürchten sein. Denn man gibt gegenüber Vorgesetzten „Widerworte“ und stellt die Rechtmäßigkeit ihrer Anordnungen offen in Frage. Für die eigene Karriere dürfte es schwerlich von Vorteil sein, in der Chefetage als „Querulant“ zu gelten. Das Gesetz ist allerdings deutlich und fordert von den Beamt:innen entsprechendes Rückgrat.

„Subsequent degree Remonstration“: Straftatbestände, Ordnungswidrigkeiten und Menschenwürdeverletzungen

Es könnte aber noch schlimmer kommen: Denn für den Fall, dass die Weisung auch von der nächsthöheren Stelle bestätigt werden sollte, haben Beamt:innen zwar grundsätzlich ihre Schuldigkeit getan. Sie müssen die Weisung dann ausführen, sind dafür aber auch von ihrer eigenen Verantwortung befreit (§ 63 Abs. 2 S. 3 BBG/§ 36 Abs. 2 S. 3 BeamtStG). Dies gilt nach § 63 Abs. 2 S. 4 BBG/§ 36 Abs. 2 S. 4 BeamtStG allerdings dann nicht, „wenn das aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt oder strafbar oder ordnungswidrig ist und die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit für die Beamtinnen und Beamten erkennbar ist.“

In solchen Sondersituationen genügt es für Beamt:innen additionally nicht, lediglich auf ihre Bedenken hinzuweisen. Sie müssen die Ausführung der Weisung im Falle ihrer Aufrechterhaltung sogar verweigern. Damit riskieren sie nicht nur die oben genannten Konsequenzen. Da sie eine konkrete Weisung nicht umsetzen, droht die Einleitung eines Disziplinarverfahrens wegen eines Verstoßes gegen die Folgepflicht. Die Ungewissheit, ob wirklich eine strafbare, ordnungswidrige oder die Würde des Menschen verletzende Weisung vorgelegen hat, so dass letztlich die Verweigerung der Ausführung keinen Verstoß gegen die Folgepflicht darstellt, tragen für die Dauer des (behördlichen und ggf. nachfolgenden gerichtlichen) Disziplinarverfahrens die Beamt:innen. Die damit einhergehenden emotionalen Belastungen sollten nicht unterschätzt werden.

Entziehen sich Beamt:innen dieser Pflicht, indem sie nicht remonstrieren und die Weisung ausführen, laufen sie in den eben dargestellten Konstellationen ebenfalls Gefahr, ein Dienstvergehen in Kind eines Verstoßes gegen die Remonstrationspflicht zu begehen – auch wenn fraglich erscheint, ob ein Dienstvorgesetzter ein Disziplinarverfahren bei einer eigenen Weisung einleiten würde. Darüber hinaus würden sich Beamt:innen eventuell selbst strafbar machen oder eine Ordnungswidrigkeit begehen. In gewissem Sinne haben sie in diesen Extremsituationen die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Unsicherheiten in den Randbereichen

Ein großer Unsicherheitsfaktor dürfte in der Praxis obendrauf kommen: Aufgrund der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe ist in Grenzfällen gerade nicht eindeutig, ob beziehungsweise wann genau eine Weisung wirklich strafbar, ordnungswidrig oder die Menschenwürde verletzend ist. Insbesondere in Bezug auf die Menschenwürde („was sie bedeutet ist aber durchaus streitig“, Möllers), deren historische Entwicklung von nicht wenigen Forschern nachvollziehbar als „keineswegs konsequent“ (Knoch, S. 17) angesehen wird, können sich im Einzelfall auch unter Zugrundelegung der verfassungsrechtlichen Begrifflichkeiten und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schwierige Abgrenzungsfragen stellen. So kann beispielsweise im Polizeibereich fraglich sein, wann genau sich eine Maßnahme als eine mit dem Gleichheitssatz und der Menschenwürde nicht mehr in Einklang zu bringende polizeiliche „Diskriminierung aus rassistischen Gründen“ (dazu Ruch, S. 83 ff.) darstellt. Gleiches gilt in Bezug auf das Strafrecht, das mit den Worten Depenheuers zunehmend auch Verhaltensweisen pönalisiert, „deren sozialethischer Unwertgehalt nicht von vorneherein und mit allgemeiner Evidenz feststeht.“4)

Es wird von den Beamt:innen aber jedenfalls erwartet, im Rahmen der ihnen durch die jeweilige Aus- und Fortbildung vermittelten Rechtskenntnisse sowie unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Ermittlungsansätze Weisungen nach bestem Wissen und Gewissen bei Anhaltspunkten auf entsprechende Verletzungen zu prüfen.5) Detrimental Konsequenzen treffen Beamt:innen nach durchgeführter Remonstration allerdings nur, wenn sie Weisungen ausführen, deren Strafbar- beziehungsweise Ordnungswidrigkeit tatsächlich gegeben und selbige auch „erkennbar ist“.6) Hier dürfte für die Beamtenschaft ein weiterer und wohl auch der entscheidende Unsicherheitsfaktor bestehen: Denn wenn schon die objektivrechtliche Einordnung im Einzelfall herausfordernd sein kann, dann dürfte dies für die subjektive Erkennbarkeit der qualifizierten Rechtswidrigkeit erst recht gelten.

Auch eingedenk der Notwendigkeit einer handlungsfähigen Verwaltung kann es nach durchgeführter Remonstration gerade bei Weisungen „von ganz oben“7) für Beamt:innen im Einzelfall ausgesprochen fordernd bis überfordernd sein zu erkennen, ob diese noch rechtmäßig oder schon rechtswidrig sind – möglicherweise sogar im qualifizierten Sinne, additionally strafbar, ordnungswidrig oder die Menschenwürde verletzend. Eine missliche Scenario.8)

Sich als Beamt:in vor diesem Hintergrund aber pauschal darauf zu berufen, kein Jurist und/oder Straf- bzw. Menschenwürdespezialist zu sein und insofern gewissermaßen den Kopf in den Sand zu stecken, dürfte aber kein Ausweg sein und ist bereits im Lichte von § 63 Abs. 1 BBG/§ 36 Abs. 1 BeamtStG nicht ratsam. Angesichts der nunmehr bereits seit längerer Zeit medial intensiv geführten Diskussion über den Umgang mit autoritär-populistischen Parteien sowie die von ihnen ausgehenden potenziellen Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung wird jedenfalls ein sensibilisiertes Mitdenken seitens der dem demokratischen Rechtsstaat verpflichteten Beamtenschaft ebenso erwartet werden müssen wie eine dem hier angedeuteten Szenario gerecht werdende Prüfung unter gebotener Anspannung der jeweiligen individuellen Fähigkeiten. Bei evidenten und gravierenden Rechtsverletzungen ist die Beamtenschaft daher gefordert.

Ausblick

In der bis heute von den Verwaltungsgerichten immer wieder zitierten Radikalenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1975 heißt es, dass der freiheitliche demokratische Rechtsstaat gerade in Krisenzeiten und in ernsthaften Konfliktsituationen darauf angewiesen sei, dass die Beamtenschaft Partei für ihn ergreift. Staat und Bürger:innen müssten „sich darauf verlassen können, daß der Beamte in seiner Amtsführung Verantwortung für diesen Staat, für ‚seinen‘ Staat zu tragen bereit ist (…).“ Die Zukunft wird zeigen, ob und auf welche Weise sich das Instrument der Remonstration in dem hier nur in groben Umrissen aufgezeigten Szenario bewähren muss.

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